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Degoutanter Sicherheitsdiskurs

10 Thesen von Franz Fend zur  Diskussion „Wie gefährlich ist Auwiesen?“ am 19. Mai 2009 im  Volkshaus Auwiesen

Mir fällt die Aufgabe zu, die Diskussion auf eine andere Ebene zu bringen. Mich interessiert vor allem die Frage, was sind die Ursachen für diesen degoutanten Sicherheitsdiskurs, und, noch viel mehr, wem nützen die gesellschaftlichen Ausschlüsse und Ungleichheiten, die dieser Diskurs erzeugt. Dazu habe ich zehn Thesen vorbereitet, die ich ihnen nun vorstellén darf.

I.

Ich halte es für riskant diesen Titel „Wie gefährlich ist Auwiesen?“ zu verwenden. Gefahr ist ein Begriff, der in erster Linie mit subjektiven Befindlichkeiten in Zusammenhang gebracht werden muss. Und subjektive Befindlichkeiten sind, wenn man sie im Kontext von gesellschaftlichen Entwicklungen verhandelt, höchst problematisch. Weil sie nicht die wirklichen Bedürfnissen und Interessen der Betroffenen und betreffenden Personen und Gruppen zum Ausdruck bringen, sondern Resultat eines medialen Diskurses sind. Es gibt zahlreiche Beispiele in europäischen aber auch amerikanischen Städten dafür, dass das sogenannte subjektive Sicherheitsgefühl erst dann wesentlich zurück gegangen ist, wenn eben dieses in den Medien massiv thematisiert worden ist. Also ist der Begriff Gefahr im Zusammenhang mit einem Stadtteil nicht nur eine höchst subjektive Angelegenheit, sondern auch ein Produkt eines medialen Diskurses. Des herrschenden medialen Diskurses. Das Philosophenwort, wonach die herrschende Meinung die Meinung der Herrschenden ist, hat auch hier Gültigkeit.

II.

Wenn wir den Begriff der Gefahr durch jenen des Risikos ersetzen, könnte man durchaus zum Schluss kommen, dass es riskant ist hier in Auwiesen zu leben. Das Risiko arbeitslos zu werden ist hierorts wesentlich höher, als in anderen Stadtteilen. Das ist empirisch belegt. Das Risiko als junger Mensch keine Lehrstelle zu bekommen, ist hier größer als andernorts. Das beweisen ebenfalls die Statistiken. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Wir sehen also, dass wir es mit zweierlei Risiken zu tun haben. Jene, die die Leute wirklich am eigenen Leib und vor allem in der Geldbörse verspüren und jene, die sich als dumpfe Bauchgefühle manifestieren, die sich aber von ebenso dumpfen Politiken bestens instrumentalisieren lassen. Ein sehr hohes Risiko besteht hierorts, das beweisen ebenfalls die Statistiken, dass die Leute aus Protest rechte Parteien wählen. Obwohl eigentlich hinlänglich bekannt sein müsste, dass aus Protest rechts wählen ist, wie wenn man sich selber ins Knie schießt. Es ist, gelinde gesagt, nicht sehr angenehm.

III.

Sehen wir uns doch an, was heutzutage schon als Sicherheitsrisiko, beziehungsweise kriminell gilt. Jugendliche, die sich aus dem Internet Musiken oder Filme runterladen, gelten als kriminell. Sie widersetzen sich den Verwertungsbedingungen des Medienkapitals. Kids, die in Parks oder an öffentlichen Plätzen abhängen, gelten als Sicherheitsrisiko. Sie widersetzen sich dem kapitalistischen Verwertungsdogma. Das gilt deswegen als bedenklich, weil sie von der jeweils ansässigen Kaufmannschaft als Sicherheitsrisiko denunziert werden, weil sie als geschäftsschädigend eingeordnet werden. Diese Liste ließe sich ebenfalls mit konkreten Beispielen endlos ausweiten – Taubenmarkt, Donaupark, Volksgarten sind nur einige Stichworte dazu.

IV.

Ich darf eine Anmerkung zur Sprache in dieser gegenwärtigen Sicherheitsdebatte machen. Ich zitiere aus den Oberösterreichische Nachrichten von heute [19. Mai 2009, Anm.]: „Dabei wurden jene Faktoren erhoben, die das Kriminalitätsrisiko in einem Stadtteil erhöhen. Laut Studienautor Johann Bacher von der Linzer Kepler-Uni sind das etwa hohe Bevölkerungsdichte oder ein großer Prozentsatz von Arbeitslosen, Migranten, Jugendlichen.“ Zitat Ende. Also ich übersetze: Migrantinnen, Jugendliche und Arbeitslose sind keine Menschen, keine BürgerInnen der Stadt, sondern nur Faktoren. Wer Menschen zu einem Faktor reduziert, darf sich nicht wundern, dass die Betroffenen dies nicht goutieren. Wer Menschen zu einem Faktor in einer gesellschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnung macht, beweist, dass es nicht darum gehen soll, dass alle Menschen am urbanen Leben teilhaben können sollen, sondern darum, Personen und Personengruppen aus dem urbanen Leben auszuschließen.

V.

Meine fünfte These lautet daher, wir sollten nicht darüber diskutieren, ob es in Auwiesen gefährlich ist, sondern darüber, wie wir der neoliberalen Zurichtung der Stadt Einhalt gebieten können. Den Blick ausschließlich auf Auwiesen zu richten, würde bedeuten die Ursachen und die Hintergründe der Entwicklungen in der Stadt aus den Augen zu  lassen. Denn was in Linz passiert, ist schon in vielen anderen Städten passiert. Es geht darum, die Stadt als Raum des Spektakels und als Raum des Konsumismus zu etablieren, der touristischen und geschäftlichen Anforderungen gerecht wird. Die Bedürfnisse der Menschen, die in dieser Stadt leben, werden zurückgedrängt und manche Menschen und Gruppen sind gar nicht mehr erwünscht, weil sie nicht ins Bild des geschönten Konsum- und Spektakelortes passen. Urbane Exoten, werden sie des Öfteren genannt. Gemeint sind BettlerInnen, Punks, Drogenkonsumenten, Obdachlose, Alte und Arme, Leute mit migrantischem Hintergrund. Es gibt zahlreiche Beispiele aus deutschen Städten, die zeigen mit welchen Strategien ebendiese Leute aus den geschönten Stadtzentren vertrieben worden sind. Eine davon ist dieser virulente Sicherheitsdiskurs.
Der Sicherheitsdiskurs ist demnach ein Werkzeug zur neoliberalen Zurichtung der Stadt. Ein anderes Werkzeug heißt Linz 09. Aber das wäre eine andere Diskussion.

VI.

Wie es gewisse Menschengruppen gibt, die man in der neoliberal zugerichteten Stadt nicht haben möchte, so gibt es auch Stadtteile, deren Bewohner man in der hochglanzpolierten Konsum- und Spektakelwelt nicht haben will. Diese werden dann als Problemstadtteile stigmatisiert. Man mobilisiert Sozialarbeiter, Polizei, Justiz und Gscheit-daher-Reder bei Podiumsdiskussionen (das ist durchaus als Selbstkritik gedacht) sowie das gesunde Volksempfinden und die Spirale der Problembehaftung ist in Gang gesetzt. Ein angepatzter Ruf ist schwer wieder herzustellen, das ist bekannt. Das Problem der Stadtteilarbeit in diesem Zusammenhang ist oft, dass diese den Fokus nur auf den so genannten Problemstadtteil legt und nicht die gesamte Stadt im Blick hat. Die Stoßrichtung von Stadtteilarbeit ist meist nicht die Integration von so genannten Problemstadteilen in die Stadt oder das Durchlässig-machen von Grenzen. Vielmehr werden Grenzen, wenn nicht neu errichtet, zumindest respektiert. Wenn der Blick nur auf das kleine Grätzel gerichtet ist, werden erneut Ghetto-Situationen reproduziert.

VII.

Jene die diesen Sicherheitsdiskurs am köcheln halten, berufen sich gerne auf Kriminalstatistiken. Abgesehen davon, dass diese überhaupt nichts über die Lebensqualität in einer Stadt oder einem Stadtteil aussagen, dienen diese nur dazu, ein Bedrohungsbild zu zeichnen, beziehungsweise aufrechtzuerhalten. Dieses ist deswegen erforderlich damit der ständige Ruf nach mehr Repression und mehr Überwachung aufrechterhalten werden kann. Mehr Polizei bedeutet jedoch keineswegs weniger Risiko, im Gegenteil. Soziologen, wie etwa Dietrich Schulze Marmeling, haben in zahlreichen Studien gezeigt, dass die Anwesenheit von Polizei, beispielsweise bei Fußballveranstaltungen viel eher zu Randalen geführt hat, als in Situationen, in welchen sich die Polizei im Hintergrunde gehalten hat. Man kann festhalten, die Polizei ist ein Garant für Randale. Der erste Mai hier in Linz hat dies eindrucksvoll bestätigt.

VIII.

Zero Tolerance ist ein Begriff, den auch hier in der Stadt wieder Politiker in die Debatte einbringen. Zero Tolerance - Nulltoleranz-Strategie, also das Ahnden kleinster Übertretungen durch massive Repression und Unterdrückung durch Polizei und Justiz. Man wollte mit dieser Strategie der Verwahrlosung und der Kriminalität in amerikanischen Städten Herr werden. Abgesehen davon, dass in den betroffenen Städten weder die Kriminalität gesunken ist noch weniger Fenster zerbrochen worden sind, bedeutet diese Strategie eine eindeutige Abkehr von rechtsstaatlichen Prinzipien. Prinzipien, die auch den Unterschichten zumindest formal gleiche Rechte zugestehen. Abgesehen davon sind die Verbrechen, die vom Polizeiapparat begangen worden sind, exorbitant gestiegen, wie beispielsweise Loïc Wacquant in mehreren Arbeiten nachgewiesen hat. Parteien aller Coleurs hierzulande bringen diese Strategie wieder in Spiel. Ihnen geht es somit nicht um ein Leben mit geringem Risiko, sondern um die gewaltsame Durchsetzung von sozialen Ungleichheiten.

IX.

Das Selbe gilt für die nicht minder degoutante Diskussion um so genannte Bürgerwehren, die auch in mehreren österreichischen Städten eingesetzt werden. Wer Bürgerwehren befürwortet, ebnet den Weg für protofaschistische Repression, der bringt den Garten-Nazi an die Macht. Wer Bürgerwehren befürwortet, macht sich der Privatisierung sämtlicher öffentlicher Belange schuldig.

X.

Die Sicherheitsdebatte hat einen Hintergrund, der gerade in Krisenzeiten nicht aus den Augen gelassen werden sollte. Es handelt sich um Fingerübungen der Herrschenden, kommenden sozialen Auseinandersetzungen begegnen zu können. Die Krise ist eine gewaltige Umverteilungsmaschine von unten nach oben: Konzerne und Banken erhalten Subventionen und Finanzierungen in Milliardenhöhe und die Arbeiter, Angestellten, Prekären, die freien DienstnehmerInnen, wie sie auch immer heißen, verlieren Jobs, Projekte und vor allem Geld. Dass dies zu massiven sozialen Auseinandersetzungen führen wird müssen, kann man sich denken. Dieser degoutante Sicherheitsdiskurs in diesem Zusammenhang an die unteren Klassen: Motzt nicht auf, wir werden jede Unbotmäßigkeit im Keim ersticken. Und an den repressiven Teil des Staatapparats ist es ein Signal, dass es verlässliche Politiker gibt, die ihn schon von der Leine lassen werden, wenn es soweit ist. Und dass es die Polizei gerne hat von der Leine gelassen zu werden, ist auch durch tausende Beispiele, historische wie aktuelle, bekannt.

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