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Mythos und Realität

Von der Nachhaltigkeit des schlechten Rufs kann Auwiesen ein Lied singen, mit ziemlich vielen Strophen. Der Stadtteil geriet Anfang bis Mitte der Neunziger als "Ghetto" in Verruf, die rauen Sitten zogen Verhaftungen nach sich und der Brandanschlag auf ein China-Restaurant brachte das Fass zumindest medial zum überlaufen. In den Jahren darauf beruhigte sich die Situation wieder. Doch das schlechte Image blieb vor allem an den Jugendlichen haften und wird jüngst wieder gern medial gefüttert.

Auch die drei Soziologiestudenten Markus Kapl, Boris Schuld und Christian Schwarz, die im Rahmen ihrer Diplomarbeit im Jahr 2005 eine Studie zum "Mythos Auwiesen" erstellten, kamen mit einschlägigen Erwartungen in den Stadtteil. Doch ihnen erging es wie jeder Besucherin und jedem Besucher, der Auwiesen zum ersten Mal betritt: Gepflegte Grünanlagen, Spielplätze und renovierte Wohnhäuser soweit das Auge reicht. Ein Ghetto sieht anders aus. In ersten Begegnungen mit den Jugendlichen vor Ort stellte sich zudem heraus, dass diese mit ihrem Stadtteil durchwegs zufrieden sind. Von der geplanten Problemorientierung der Arbeit mussten die Studienautoren daher auch methodisch abrücken. Vielmehr untersuchten sie in der Folge die Lebenswelt der Jugendlichen im Spannungsfeld zwischen Image und Realität. 

Ihre Erhebungen verliefen durchaus erfolgreich. Die Studienautoren verteilten die Fragebögen direkt an den Haustüren und erreichten damit über 27% der in Auwiesen wohnhaften Jugendlichen. Von den verteilten 450 Fragebögen erhielt man 407 Stück zurück. Die quantitative Auswertung mündete schließlich in eine qualitative Befragung von "typischen" Auwiesener Jugendlichen, die in Gruppendiskussionen und Einzelgesprächen durchgeführt wurde. Hier wurde auch klar, warum der Großteil der Befragten sich in Auwiesen deklarierter Weise wohl fühlt und dennoch 40% zustimmten, dass sie "im Ghetto von Linz" wohnen. Diese Zuschreibung wird nämlich nicht unbedingt negativ aufgefasst. Jene Jugendlichen, die sich oft im Freiraum aufhalten, lassen sich meist der Jugendkultur des Hip-Hops zuordnen. Und für diese ist der negative Ruf ihres Stadtteils durchaus eine willkommene Zuschreibung. Da wird das persönliche Gangsta-Image gleich glaubwürdiger, könnte man verkürzt sagen.

Doch aufs Negative reduzieren lässt man sich nicht gerne. Wenn schlecht über Auwiesen geredet wird, dann hört man einfach nicht mehr hin. Man weiß besser, wie es hier wirklich ist. Kleinere Raufhändel werden bestätigt, Auseinandersetzungen mit Erwachsenen (vor allem wegen Lärmbelästigung) ebenso. Aber eine massive kriminelle Energie lässt sich aus den Ergebnissen der Studie beim besten Willen nicht ableiten. Auch die befragten Polizisten relativieren stark und erleben ihr Revier nicht als außergewöhnlich gewaltbereit. Man liege im Schnitt von Linz-Süd, heißt es. Immer wieder etwas, aber kaum Gravierendes. 

Das positiv besetzte "Ghetto" bringt auch seine eigenen Regeln mit sich, die die Jugendlichen für sich etablieren. Zusammenhalt nach außen steht dabei an oberster Stelle und oft wird die Gruppe auch als erweiterte Familie begriffen. Man ist füreinander da und teilt was man hat. Mesitens ist das nicht viel, denn unter jenen Jugendlichen, die sich oft draußen aufhalten, kommen die meisten aus finanziell schlechter gestellten Haushalten. Das verbindet sie auch über ethnische Grenzen hinweg, denn der Migrationshintergrund der Jugendlichen ist vielfältig, auch wenn (wie überall hierzulande) die Herkunft (der Eltern) aus dem ehemaligen Jugoslawien dominiert. Österreichische StaatsbürgerInnen sind die meisten, ÖsterreicherInnen ohne Migrationshintergrund bleiben im öffentlichen Raum Auwiesens die Minderheit. Ausländerfeindlichkeit wird vor allem außerhalb des Viertels oder von älteren BewohnerInnen erlebt. Umgehen können die Jugendlichen damit nur schwer, wie eine Jugendbetreuerin bei der Befragung meint. Wenn diesbezügliche Aggression von außen ins Viertel hineingetragen wird, reagiert man auch mit Aggression.

Die verbreitete Hip-Hop-Kultur wird vor allem von den Burschen geprägt. Sie bestimmen wie die Gruppe funktioniert, die wenigen Mädchen ordnen sich eher unter. Obwohl sie nominell gesehen die Hälfte der in Auwiesen lebenden Jugendlichen ausmachen, sind sie im öffentlichen Raum kaum präsent. Zumeist lässt sich das auf das Frauenbild ihrer Familien zurückführen: Während die Jungs sich den Freiraum erobern, müssen die Mädchen im Haushalt arbeiten. Zuversichtlich stimmt hingegen, dass die Jugendclubs mit einem wöchentlichen "Mädchenabend" durchaus erfolgreich sind. Er schafft Freiräume und lockt auch junge Frauen an, die ihre Freizeit sonst kaum außerhalb der Wohnungen verbringen.

Traditionelle Rollenbilder sind in Auwiesen auch an den Berufswünschen ablesbar. Mechaniker und Verkäuferin stehen ganz oben auf der Liste. Der Zusammenhang mit der Schulbildung liegt auf der Hand: Nach oben hin ist der Bildungsweg in Auwiesen gedeckelt. Nach Volks- und Hauptschule ist Schluss, zu den Gymnasien muss ausgependelt werden. Im Erhebungszeitraum besuchten allerdings nahezu 40% der Befragten eine berufsbildende höhere Schule oder eine AHS, wo sich auch neue Freundeskreise etablieren. In Auwiesen präsent sind diese Jugendlichen nicht. Und sie tendieren dazu, das schlechte Image ihres Viertels zu unterstreichen. Ihre Altersgenossen, die Auwiesen als ihren Lebensraum begreifen und auch benutzen, sehen das jedoch deutlich differenzierter.

Die Studie zum Download:
http://www.grin.com/e-book/109700/der-mythos-auwiesen-eine-quantitative-und-qualitative-studie-ueber-jugendliche

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